Gaffer 2000
Manche geh’n ins Fitnesscenter,
andere ins Solarium.
Mache haben Hunde, Katzen,
andere ein Aquarium.
Manche sammeln Briefmarken,
andere sammeln Geld.
Manche sammeln: was weiß ich?!
- naja, wem’s halt gefällt...
Manche kegeln im Verein,
andere spielen Skat.
Manche reden über Fußball,
andere fahren Fahrrad.
Ob Wiesen, Felder oder
Wälder zu durchwandern -
alles nix für mich!
Ich bin anders als die anderen...
Letzte Woche war das, ich erinn’re mich genau,
da stand ich mit meiner Frau auf der Autobahn im Stau.
Und ich sag zu meiner Frau: „Da ist sicher was passiert.
Da fahr’n wir jetzt mal hin, weil mich das brennend interessiert.“
Und ich saus’ mit quietschenden Reifen
über’n breiten Seitenstreifen
hinaus bis an die Spitze des Staus.
Siehe da, da liegt ein Auto, das ist grade am Verbrennen.
Drinnen sind Leute eingeklemmt! ...Keine, die wir kennen.
Fünfmeter hohe Flammen! Voll das Abenteuer, yeah!
Hey toll, wir sind hier die ersten! Noch vor der Feuerwehr!
Ich halt’ alles fest auf VHS, damit ich’s nicht vergess’:
„Schatz, stell’ dich doch bitte einmal vor die verkohlte Leiche... Ja, sehr schön! Und jetzt: Lächeln!“
Ich bin ein Gaffer.
Ja, am Gaffen find’ ich vollen Gefallen.
Ich bin ein Gaffer.
Ja, das ist das schönste Hobby von allen.
Beim Schlittschuhlaufen bricht ein kleines Kind ein ins Eis.
Um die Einbruchstelle bildet sich sofort ein großer Kreis.
Wie immer stell’ ich mich schnell in die erste Reih’.
Schade, gerade jetzt hab’ ich die Kamera nicht dabei!
Das kleine Kind versinkt und ertrinkt.
„Na, wo war denn wieder der Rettungswagen? Das frag’ ich Sie.“„Ja, ja, Sie haben völlig recht. Man hätte es vermeiden können. Aber die sind ja immer zu langsam! Typisch.“
Man könnt’ ja selber helfen, aber seien wir doch mal ehrlich!
Das ist für uns Gaffer viel zu gefährlich.
Hätte ich zum Hilfeleisten mich auf’s Eis verirrt,
weiß ich, daß, wenn ich jetzt auch einbräch’, mir keiner helfen würd’.
Ein Teufelskreis! Hör mein Geheiß: Begib dich nie auf dünnes Eis.
So mal jetzt ganz allgemein gesprochen, quasi als Metapher.
Ich bin ein Gaffer.
Für mich fast schon wie geschaffen als Beruf.
Ich bin ein Gaffer.
Ich hab’ den Gaffer-Groove.
Bin neulich zufällig geraten an ‘nen Selbstmordkandidaten.
Der stand auf einer Brücke, und ich konnt’ es kaum erwarten.
Ich rief ihm zu: „Spring schon!“ - Er wirkte irritiert
sprang aber trotzdem. Ich hab’s fotografiert.
Gaffen ist nicht nur ein spannender Sport,
nein, im Unglücksorttourismus halt’ ich auch noch den Rekord:
Weil bei mir zu Hause kaum Katastrophen gescheh’n,
fahr’ ich halt hin, wo welche sind, um sie mir live anzuseh’n.
Die richtigen Desaster, Infernos, Havarien
zieh’n mich magisch an, kann Ihnen nicht entflieh’n:
Bei ‘nem Flugzeugabsturz oder beim Oderbruch,
oder bei ‘ner Eisenbahnentgleisung, komm’ ich zum Zug,
zum Beispiel beim ICE in Eschede fand
ich zum Gaffen ein Schlaraffenland.
Weil ich so sehr nach Sensationen gier’,
kommt es auch mal vor, daß ich sie selber provozier’.
Der Vorteil: Ich bestimme den Geschehensort
und bin sofort immer als erster dort.
Zum Beispiel wußt’ ich gleich, das wird ‘ne kurze Tour,
als die Diana mit ihrem Scheich in den Tunnel fuhr.
Für Fotos von sowas zahlt man mir viel Geld,
weil das Gaffen offenbar nicht nur mir allein gefällt.
Denn worin wir uns beim Gaffen vom Affen unterscheiden,
ist, wie sehr wir uns am Leiden unserer Artgenossen weiden.
Doch immerhin
der Vorwurf vor diesen
die Augen zu verschließen,
kann bei mir nicht stimmen.
Ich gucke ja hin.