Der Merseburger Rabe
Eines Tages stahl ein Rabe
Einen Ring von feinstem Gold
Und ein alter grauer Diener
Der bekam dafür die Schuld.
Dieser gute brave Diener
War stets treu ein Leben lang,
Kein Gebot er je gebrochen,
Weil nie Böses zu ihm drang.
Bangen Herzens seufzt er leise,
Da er leidet arge Not,
Denn er war nun fest bestimmet
Nach dem Rechte für den Tod.
Worte lügen, Blumen welken,
Doch der alte Diener weiß;
Wenn das Urteil ihn ereilet,
Endet seines Lebens Kreis.
Und er weinte eine Träne,
Die ganz schwer und dunkel war,
Und da wurde leicht sein Herze,
Denn es war jetzt licht und klar.
Betend trat er vor den Henker
Und sein Blick zur Sonne schweift;
Selbst der Henker betet stille,
Während er sein Beil anschleift.
Mit geübtem harten Hiebe
Schlug der Henker schaudernd zu,
Doch der Leib des alten Dieners
Gab noch lange keine Ruh:
Voller Unschuld sich erhoben
Der gerichtet gute Greis,
Reckt die Hände auf zum Himmel
Seiner Treue zum Beweis.
Ohne Haupt und ohne Leben
Stand er so noch manchen Tag,
Bis sein Leib zur Erde stürzte
Und gebrochen niederlag.
Heiser krächzt der Schwarze Rabe
Von dem Turm beim Richteplatz,
Und es tönt wie frohes Lachen
Über den gewonnen Schatz.
Dieser Rabe stiehlt noch heute,
Was uns Menschen lieb und gut,
Und es fließt im großen Strome
Unser allerbestes Blut!
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